"Einerseits soll ich meine eigenen Grenzen verteidigen, andererseits soll ich in der Therapie über mich hinaus wachsen und dorthin gehen, wo es wehtut! Muss ich das verstehen?"
Mit dieser Frage sah ich mich jüngst konfrontiert und fand sie wirklich interessant, denn durch diese Brille hatte ich Psychotherapie noch nie betrachtet. Für mich ist jede Sitzung einfach ein Geschenk, auch wenn sie weh tut. Und ich weiß wirklich, wovon ich da spreche.
Meine Antwort auf die Frage lautet also folgendermaßen:
"Bei heilsamem Wachstum geht es für mich darum, unter Berücksichtigung und Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Grenzen innerlich zu wachsen. Also quasi in sich hinein zu wachsen und auf keinen Fall über die eigenen Grenzen hinaus in eine Richtung wachsen, die irgendjemand von einem erwartet. Es geht vielmehr genau ums Gegenteil, nämlich darum, die eigenen Gefühle, Begrenzungen und Werte erst einmal wahrzunehmen und zu schauen, ob es wirklich meine sind oder ob es sogenannte Introjekte von meinen Eltern oder der Gesellschaft sind (das macht man nicht, dies tut man so), die ich nicht assimiliert, also nicht verdaut, und nicht meiner eigenen Bewertung unterzogen, sondern einfach übernommen habe. Wenn das nämlich der Fall ist, geht es mir logischerweise schlecht damit. Dann entstehen Neurosen, wie z. B. Ängste, Zwänge, Phobien, somatoforme Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Denn es ist nicht meins. Ich bin nicht im Einklang mit den mir eingepflanzten Werten und Regeln. Und genau darum geht es beim wahren Wachstum. Auch wenn es etwas esoterisch anmutet. Aber es geht um Selbstfindung. Es geht darum, zu erkennen, dass ich es selbst in der Hand habe, wie ich in bestimmten Situationen reagiere. So, wie die Gesellschaft es erwartet oder meine Eltern, mit denen ich schon lange keinen Kontakt mehr habe und eigentlich nicht genau weiß, was da eigentlich schief gelaufen ist oder so, wie es sich für mich stimmig und richtig anfühlt. Wenn ein Klient in dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit findet, ist das für mich echtes Wachstum. Und dann ergibt es eben auch Sinn, dahin zu gehen, wo es erst einmal weh tut..."
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